
Oder: Wie man zwar für das Gedenken, aber gegen das konkrete Gedenken sein kann
Von Erich Kästner gibt es ein Buch, das den Titel trägt „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. An diesen Satz muss ich immer wieder denken, wenn ich die gestrige Ortsbeiratssitzung gedanklich Revue passieren lasse. Denn da wurde viel Gutes geredet, aber am Ende nichts getan.
Unter TOP 6 stand das Votum des Ortsbeirats an, denn die neue Straße, an der sich der Campus der Hoffbauer-Stiftung befinden wird, braucht einen Namen. Über mögliche Namen war nach der Aufforderung, Vorschläge zu machen, im internen Email-Verkehr bereits etwas diskutiert worden. Wobei diskutiert etwas zuviel gesagt ist: Nachdem ich den Vorschlag gemacht hatte, die Straße nach der früheren Glindower Bürgerin Resi Salomon zu benennen, kam nicht wirklich eine Diskussion in Gang. Resi Salomon hatte eine Gärtnerei, die in Sichtweite des neuen Schulcampus lag und deren Nachfolger noch heute existiert. Als Jüdin wurde sie Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns, ebenso ihr älterer Sohn. Der jüngere Sohn überlebte, da er nach Südafrika emigrierte. R. Vehlow von den Linken und G. Assmann von den Grünen stimmten dieser Idee gerne zu. Besonders sinnvoll schien der Straßenname zur Schule zu passend, würde er doch immer Impuls für die Beschäftigung mit den Themen Verfolgung, Minderheiten, Ausgrenzung, Gewalt und Faschismus und Rassismus sein. Dann aber schlug S. Bahl, Vorsitzender der SPD Werder, den inspirierenden Straßennamen „Zum Schulcampus“ vor. Dem schlossen sich die Herren von der CDU und von den Freien Bürgern umgehend an. Es wurden einige wenige Argumente gebracht, wie z. B., Zum Schulcampus helfe bei der Orientierung, und seitens der CDU argumentierte H. Bobka so „ist doch ein Wort zum Straßennahmen“. Auf meinen bzw. unseren Vorschlag wurde nicht weiter eingegangen, außer von S. Bahl, der noch einige Gegenargumente anbrachte, die er dann später aber wieder zurückzog.
Für uns Befürworter der Resi-Salomon-Str. war jetzt klar, dass wir uns Unterstützung suchen mussten. Mit dem „Aktionsbündnis Weltoffenes Werder“ fanden wir einen starken und engagierten Partner. Dem Bündnis gehören u. a. auch die CDU, die Freien Bürger, und die SPD in Werder an. In Form eines nur halböffentlichen Aufrufs – eine echte Unterschriftensammlung o. ä. sahen wir in diesem Stadium nicht als sinnvoll und unter Corona-Bedingungen auch nicht als praktikabel an – fanden sich viele Unterstützer. Unter den über 150 Personen und Institutionen waren der theologische Leiter der Hoffbauer-Stiftung Steffen Reiche, die evangelische Kirchengemeinde, die Fraktionen der SPD, der Grünen, der Linken, der SMG/Ingo Krüger in der SVV sowie die Parteien selbst, mehrere Ortsvorsteher, die Deutsch-Israelisch Gesellschaft in Berlin+Brandenburg, zahlreiche Kulturinstitutionen, Ärzte, Firmen in Glindow und Werder, das Werderaner Bündnis für Kulturaustausch, gegen Rassismus und Gewalt, das Netzwerk Neue Nachbarn Werder und viele Einzelpersonen. Vor der Sitzung wurde das Unterstützerschreiben allen Ortsbeiratsmitgliedern zugestellt.
In der Sitzung nun blieb es bei den vorigen Verhältnissen. Sicher gab es auch einige verirrte „Gegenargumente“ wie z. B., eine Benennung nach einem einzelnen Opfer schlösse die anderen Opfer aus, aber im wesentlichen stellten insbesondere F. Witschel und S. Wilhelm von den Freien Bürgern sowie S. Bahl von der SPD glaubhaft dar, dass sie sich nicht am Gedenken störten, und auch eigentlich nichts gegen den Straßennamen hätten. Nein, sie störten sich daran, dass im Mailverkehr von unserer Seite her mehrfach insistiert worden war, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen waren, und dass sie durch die Unterschriftensammlung unter Druck gesetzt worden seien. Ich habe unseren Vorschlag verteidigt, da ich ihn nach wie vor für inhaltlich richtig halte.
Es gab kein einziges sachliches Gegenargument, außer vielleicht von Ch. Große, Beigeordneter der Stadt Werder, der darauf hinwies, dass es in Werder doch bereits eine überaus breite Erinnerungskultur gebe und auf den Volkstrauertag(!) verwies. Dass in Werder und den Ortsteilen außer den vier Stolpersteinstandorten nichts an die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnert, wurde nicht wahrgenommen. Ein interessanter Vorschlag kam von H. Wels, Freie Bürger: Man könne die Straße ja Zum Schulcampus nennen, und die Schule selbst dann nach Resi Salomon. Wobei von meiner Seite her nochmal bemerkt wurde, dass wir im Ortsbeirat über die Straße, und nicht über die Schule zu entscheiden haben.

H. Bobka drängte schließlich zur Abstimmung, und die fiel letztlich wie befürchtet aus: Mit den 6 Stimmen von CDU, Freien Bürgern und der SPD machte der Vorschlag „Zum Schulcampus“ das Rennen, 3 Stimmen von SMG, Grünen und Linken entfielen auf „Resi-Salomon-Str.“.
Letztlich stelle ich für mich drei Gründe fest, die zur Ablehnung der Benennung nach Resi Salomon führten:
Erstens: Der Vorschlag kam von den Falschen. Offensichtlich können Vorschläge von uns noch so sinnvoll sein, sie werden prinzipiell abgelehnt. Hätte den Vorschlag einer der Freien Bürger eingebracht, wäre ihm sicher zugestimmt worden. Die Ablehnung verwundert ja um so mehr, als dass mit der SPD-Fraktion in der SVV sowie der evangelischen Kirche in Werder Unterstützer des Straßennamens vorhanden waren, denen die Ortsbeiräte christlicher Parteien oder Sozialdemokraten durchaus hätten folgen können.
Zweitens: Wir haben uns Unterstützung gesucht. Es wurde uns zum Vorwurf gemacht, dass wir die Diskussion nach außen getragen hätten. Allerdings macht eine öffentliche Diskussion nach einem Beschluss ja auch wenig Sinn. Im übrigen wurde uns von Bürgerinnen und Bürgern auch vorgeworfen, nicht öffentlich genug diskutiert zu haben.
Drittens: Persönliche Beweggründe habe insbesondere ich unterschätzt. In nahezu jeder Wortmeldung wurde die Idee prinzipiell gutgeheißen. Aber aus den oben genannten persönlichen Erfahrungen im Diskussionsprozess wolle man doch lieber einen anderen Namen.
Tja, es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Zuletzt ein kurzer Ausblick: Die endgültige Entscheidung über den Straßennamen trifft die SVV. Es ist schon mehrfach vorgekommen, dass das Votum des Ortsbeirats überstimmt wurde, üblich ist es aber nicht. Wenn ich nach der derzeitigen Sitzverteilung gehe, so werden für die Resi-Salomon-Str. in jedem Falle die auf der Unterstützerliste zu findenden Parteien stehen, das sind dann 15 Stimmen. Die beiden Freien Bürger in der SVV sind dieselben wie im Ortsbeirat. Die CDU hat zusammen mit der Bürgermeisterin 13 Stimmen, wobei ich mir vorstellen kann, dass hier doch noch der eine oder andere dem christlichen Geist folgt und ebenfalls für Resi-Salomon-Str. stimmt. Falls nicht, wären es aus CDU und FB 15 Gegenstimmen. Das Zünglein an der Waage werden also die drei Abgeordneten der AfD spielen…
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