Wir müssen jetzt planen, was wir für unsere Zukunft wollen
„Da sind wir sicherlich überrollt worden.“ So die Antwort der amtierenden Werderaner Bürgermeisterin Manuela Saß auf die Frage ob die Stadtverwaltung das Wachstum verschlafen hätte in einem PNN Bericht von 2018.
Die Antwort steht als Sinnbild für die hilflose Haltung der Werderaner Stadtplanung. Es liegt in der Natur der Sache, dass derjenige, der überrollt wird, nur noch reagieren kann, um den größten Schaden abzuwenden. Abgesehen davon, dass ein „Überrollen“ eher an einen Unfall oder an eine Naturkatastrophe als an den Zuzug von Familien in eine Stadt erinnert, stellt sich die Frage, ob es wirklich so ist, dass dieser Zuzug nicht vorhersehbar war.
Die Urbanisierung um Berlin nimmt seit Jahren immer weiter zu. Die Ausweitung des Berliner „Speckgürtels“ ist eine Folge der Nachverdichtung der Hauptstadt und war vorhersehbar. Immer mehr Menschen zieht es in die Randgebiete und die gut angebundenen kleineren Gemeinden und Städte.
Die damit verbundenen Anforderungen bringen den Kommunen nicht nur Vorteile, sondern auch Konflikte mit sich. Beispielsweise werden Wohnungen knapp und teuer. Es entstehen teilweise neue Wohngebiete, die einen Geschmack von Luxus haben. Man hat den Eindruck, als würden große Wohnblöcke, die eigentlich für die Hauptstadt bestimmt sind ein paar Kilometer früher im Dorfzentrum abgesetzt werden. Doch rechtfertigt ein für den Investor ertragreiches Geschäft derartige Einschnitte in dörfliche und kleinstädtische Strukturen? Ist es die Entwicklung, die uns für die „Stadt der Zukunft“ vorschwebt?
Man kann den Bauboom aber auch als Chance sehen. Wo gebaut wird, entstehen neue Räume. Diese können gerade auf kommunaler Ebene unter Einbeziehung der Einwohnerschaft mitgestaltet werden. In vielen Gemeinden hat dieses Umdenken schon vor Jahren begonnen und eine positive Entwicklung für alle Beteiligten hervorgebracht. Allerdings muss Mitbestimmung von den Verantwortlichen zugelassen und mitgetragen werden.
Um städteplanerische Antworten zu erhalten, müssen Fragen gestellt werden:
Fragen zu funktionierenden und öffentlich geförderten Wohnraum, zur nötigen sozialen Infrastruktur für das Wohnumfeld, zur Förderung der Wirtschaft, zur öffentlichen Sicherheit und zum Tourismus. Es muss aber auch um Fragen zu Aufenthaltsqualität und Mobilität gehen. Es dürfen nicht nur die Gebäude einer Stadt berücksichtigt werden, sondern ebenso der Raum dazwischen. Vor allem mit zunehmender Verdichtung müssen die Planer dem Freiraum mehr Aufmerksamkeit schenken.
Der öffentliche Raum sollte hohe Aufenthaltsqualität besitzen und als Versammlungsort dienen. Entschleunigung, Fußläufigkeit, Klein-Maßstäblichkeit und Stadtgrün schützen Gesundheit, Zeit und Platz und sind die Aspekte der Zukunft. Ein funktionierendes Verkehrskonzept z.B. wirkt sich positiv auf ein friedliches Miteinander von Autofahrern und den schwächeren Verkehrsteilnehmern aus. Je weniger Menschen das Auto benutzen, desto besser funktioniert auch der Autoverkehr. Werder hat in vielen Bereichen noch unentdecktes Potential. Sie war und ist keine Stadt, die nur Wohngebiete für Pendler schafft. Wir müssen aber aufpassen, dass die Gemeinde mit der Planung nicht hinter ihren Möglichkeiten bleibt.
Öffentlich geförderter Wohnraum
Um den Bau von neuen und die Modernisierung von bestehenden Mietwohnungen für bestimmte Zielgruppen zu sozial verträglichen Mieten attraktiv zu machen, gibt es einen wichtigen Fördertopf der ILB. Voraussetzung für die Förderfähigkeit ist die Schaffung von Fördergebieten für bauliche Maßnahmen. Die Anforderungen an diese Fördergebiete wurden durch das Landesamt für Bauen und Wohnen festgelegt, um den Gemeinden eine Möglichkeit zu geben, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. In einem Rundschreiben des Landesamtes an die Brandenburger Kommunen heißt es: ”Wir wollen Sie ausdrücklich dazu ermuntern, die Potenziale zur Ausweisung des Wohnraumangebotes in Ihrer Gemeinde zu überprüfen und uns geeignete Gebiete für die Wohnraumförderung vorzuschlagen.” Die Inanspruchnahme der Förderung gilt sowohl für private Investoren als auch für die Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften. Wichtig ist hier, dass nicht nur zinsfreie Darlehen, sondern ebenso Zuschüsse gewährt werden.
Forderungen nach einer klassischen Förderung durch Bauzuschüsse für den sozialen Wohnungsbau wurden bereits im Jahr 2015 seitens der Werderaner Verwaltung laut, als es um 30 neue Wohnungen auf der Jugendhöhe ging. So forderte der erste Beigeordnete, Christian Große (CDU), das Land auf, Wohnungsbau nicht wie derzeit durch günstige Kreditvergaben zu fördern, sondern klassische Förderung mit Bauzuschüssen zu betreiben.
Diese Förderung wäre seit dem 04.09.2018 möglich, kann aber nicht in Anspruch genommen werden, da in Werder die entsprechende Gebietskulisse fehlt.
Wir von den StadtMitGestaltern fordern, im Zuge des noch laufenden INSEK Verfahrens (Integriertes Stadtentwicklungskonzept) endlich solche Gebiete im Stadtgebiet zu schaffen, um den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben.
Die Inanspruchnahme von Fördermitteln ist aber aus unserer Sicht kein Allheilmittel. Vor allem muss es darum gehen, das Thema ganzheitlich anzugehen. Kommunale Grundstücke, die für den Wohnungsbau geeignet sind, müssen verstärkt nach sozialen Gesichtspunkten vergeben werden. Die HGW als kommunales Wohnungsunternehmen muss sich noch mehr im Bereich des sozialen Wohnungsbaus engagieren.
Öffentliche Plätze
Es existiert in der Kernstadt von Werder ein funktionierender, öffentlicher Platz. Mehr oder weniger qualitätvoll ist der Aufenthalt. Die Menschen werden dorthin gezogen, weil sie die meisten täglichen Besorgungen an einem Ort tätigen können. Hier trifft man sich, hält einen kurzen Plausch mit dem Nachbarn oder dem Vereinskollegen. Hier verkaufen Schüler ihren selbstgemachten Kuchen für die Klassenfahrt, und vor dem Eingang werden die Obdachlosenzeitung verkauft oder Flugblätter verteilt.
Im Werderpark funktioniert das, was in einer Kleinstadt innerstädtisch im öffentlichen Raum funktionieren müsste. Es ist also ein künstlicher Ersatz geschaffen worden. Ein Ersatz, der nicht durch die Einwohnerschaft bestimmt wird, sondern durch eine Verwaltung mit Hausrecht. Die Räume gehören nicht allen. Und Eintritt haben nur die Bevölkerungsgruppen, die es sich leisten können und wollen, dort zu konsumieren.
Der öffentliche Raum wird von Experten oft als das Rückgrat der Stadt bezeichnet. In Einkaufspassagen ist selbiges zum größten Teil fremdgesteuert, und die Stadt und ihre Einwohnerschaft haben keinen uneingeschränkten Einfluss mehr darauf. Es ist nicht die Frage, ob klimatisierte, überdachte Passagen ihre Daseinsberechtigung haben. Es kann allerdings die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt nicht ersetzen.
Wir fordern, den öffentlichen Raum priorisiert zu behandeln und ihn zu einem Ort zu machen, in dem man gerne verweilt, sich trifft und wo das gesellschaftliche Leben stattfindet. Doch wo sind diese Orte in Werder? Es lohnt sich sicherlich über das Potential vieler Orte wie Marktplatz oder Plantagenplatz nachzudenken, exemplarisch ist hier das Areal um den Bahnhof genannt, weil er die Versäumnisse der Planung aller beteiligten Akteure wiederspiegelt. Nicht nur das Thema Tunnel oder das Verkehrsleitsystem sind hier als Probleme zu benennen.
Der Bahnhof
Ein Bahnhof ist neben den Ortseingängen der erste Eindruck, den der Ankommende von der Stadt gewinnt. Von hier aus verteilen sich die Menschen in alle Richtungen. Am Bahnhof verkehren täglich tausende von Menschen. Pendler, Schulkinder, Ausflügler, Touristen.
Die Ausgestaltung des Bahnhofsvorplatzes als zentralen Ort mit Aufenthaltscharakter sollte eine der wichtigsten städteplanerischen Aufgaben in der nahen Zukunft sein. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, den innerstädtischen Einzelhandel hier anzusiedeln, damit die Menschen, die ohnehin den Bahnhof als tägliches Ziel haben, ihre Besorgungen dort direkt erledigen und im besten Falle einen längeren Moment verweilen und den Ort als Treffpunkt nutzen können. Ein Ort, an dem man sich sowohl als Erwachsener, als auch als Kind oder Jugendlicher geschützt fühlt und an dem man sich sicher bewegen kann.
Für die Planung solch wichtiger Aufgaben nehmen viele europäische Städte die Möglichkeit der Auslobung von Wettbewerben wahr. Auch kleine Gemeinden profitieren davon. Schließlich erkennen Ortsfremde manchmal die Chance des Projekts besser.
Allerdings sollte in ein Wettbewerbsverfahren die Beteiligung der Bürger integriert werden. Öffentlichkeitsbeteiligung kann unter Beachtung der Rechte und Pflichten nach den Richtlinien für Planungswettbewerbe in städtebauliche Wettbewerbsverfahren integriert werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig, das Mitgestalten durch die Einwohnerschaft in diesen Verfahren zu ermöglichen.
Fazit
Dass die neugeschaffenen Luxusviertel in Werder (Havel) nicht annähernd den Erfolg haben, den man sich versprochen hat, ist offenkundig. Vielleicht wäre nun der erste Schritt in die richtige Richtung sich einzugestehen, dass man mit dem Konzept „Investoren zuerst“ nicht auf der richtigen Fährte ist.
Es sollten nicht allein die Investoren, die Immobilienkonzerne und Shopping-Mall-Betreiber sein, die über die Entwicklung der Städte entscheiden.
Bei allen hier behandelten Themen ist ein Fazit immer wieder gleich zu ziehen: Stadtentwicklung muss langfristig geplant und angelegt werden. Wir müssen heute planen und entwickeln, was in zehn oder zwanzig Jahren vorhanden sein soll. Das heißt nicht, dass die Vorhaben in Stein gemeißelt sind. Eine durchdachte Planung muss natürlich immer auch individuelle Anpassungen ermöglichen, allerdings kann nur eine solche weitsichtige Planung unsere Kommune davor bewahren „überrollt“ zu werden.
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