
Das Verfahren gegen Manuela Saß und Christian Große wegen falscher Verdächtigung wurde sehr schnell eingestellt. Doch die Ermittlungen beim Thermeneinbruch lassen viele Fragen offen. Was ist 2018 in der Therme wirklich passiert? Hier die Aktenlage:
Gestern titelte die MAZ “Blütentherme-Einbruch: Auch Verfahren gegen Saß und Große eingestellt”. [1] Hier einige brisante Hintergrundinformationen zu diesem Artikel.
Der Beigeordnete Christian Große und die Bürgermeisterin Manuela Saß beschuldigten 2019 kurz vor der Kommunalwahl den Kandidaten der Wählervereinigung Stadtmitgestalter Meiko Rachimow eines schweren Vergehens. Er soll in die Baustelle der Therme in Werder (Havel) eingebrochen sein.
Hier wird auf Basis der Ermittlungsakten die Tat rekonstruiert und im Anschluss auf einige Ungereimtheiten eingegangen.

Die Tat – eine Rekonstruktion
Herr E. ein Mitarbeiter der Firma Schauer, verlässt als letzter Teilnehmer einer Baubesprechung die Thermenbaustelle. Es ist 13:30 Uhr am Donnerstag, dem 29.11.2018. Sorgfältig versichert sich Herr E., dass er die Tür verschlossen hat und fährt davon.
Kurz nach 15 Uhr, es ist noch hell, tauchen zwei Männer an der Rückseite des Gebäudes auf. Sie machen sich an einer provisorisch errichteten Gasbetonwand zu schaffen, brechen diese ein und betreten das Gebäude. Dort begeben sie sich in Richtung des Besprechungsraums und brechen auf dem Weg dahin einen Werkzeugschrank auf. Auch die Tür zum Besprechungsraum wird aufgebrochen. Hier werden Bierzeltgarnituren aus dem Raum in den Flur getragen.
Dann erscheinen sie im Sichtfeld einer Überwachungskamera vor dem Serverraum. Auf dem Fußboden liegt eine große Bauzeichnung. Die scheint sie sehr zu interessieren. Sie stellen sich um sie herum und begutachten sie.
Auch eine zweite Kamera im Lagerraum erfasst die beiden Einbrecher kurz, bevor sie den Serverschrank aufbrechen und die Elektronik im Serverraum abschalten. Sie haben die Kameras entdeckt und wollen ihre Spuren verwischen. Sie bauen unter anderem einen Router, eine Firewall und auch einen PC aus und schleppen die Geräte in die 80 Meter entfernte Havel, wo sie diese im winterkalten Wasser zwischen Schilf versenken.
Im Lagerraum sprühen sie Schriftzüge in roter Farbe an die Wand. In etwa 30 cm hohen Buchstaben finden sich dort die Slogans: “Kedi 187”, “Vier Dörfler am Hängen”, “Udo Motombo” und “Atome 48”.
Offenbar entwenden sie noch mehrere Bierzeltgarnituren, brechen die Vordertür von innen auf und verlassen das Gelände.
So ähnlich muss sich der Einbruch nach Ermittlungsakte zugetragen haben.

Die Ermittlung
Am Tag danach betritt die Projektleiterin der Therme das Gebäude und ist schockiert. Sie entdeckt abgebrochene Türklinken und aufgebrochene Türen. Es wird Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Am Nachmittag rückt die Spurensicherung an. Sie stellt einen Schuhabdruck und einige DNA-Spuren sicher.
Einige Tage später betritt die Projektleiterin die Therme erneut und entdeckt im Serverraum eine externe Festplatte, die die Spurensicherung übersehen hatte. Diese enthält brisantes Material: Videos der Überwachungskameras.
Am 5.12.2018 taucht nun ein Polizist der Wache Werder im Büro des Pressesprechers der Stadt auf. Die gefundenen Videos, jeweils nur einige Sekunden lang, exportieren ihm die Verwaltungsmitarbeiter auf eine CD.
Zwei Tage danach entdeckt die Polizeiwache in Werder bei einer Internetrecherche die mutmaßlichen Täter auf einem Foto der Webseite wirsindwerder.de. Dem Polizisten ergibt sich ein Verdacht. Die Täter könnten der Vorsitzende des Vereins Stadtmitgestalter Schlenke und sein Stellvertreter Rachimow sein.
Christian Große stellt sich nach Rücksprache mit der Bürgermeisterin als Zeuge zur Verfügung. In der Vernehmung identifiziert er einen der Täter mit 100-prozentiger Sicherheit als Herrn Rachimow. Aber der vom Polizisten als Elmar Schlenke vermutete Täter muss in jedem Fall ein anderer sein. Er kennt den zweiten Täter nämlich aus seiner dienstlichen Tätigkeit und identifiziert einen jungen Architekten, wobei er sich hier nur zu 80% sicher ist. In seiner Vernehmung äußert er gegenüber der Kriminalpolizei nun die Vermutung, dass die beiden “Thermengegner” eingebrochen sind, um an Informationen zu gelangen. Diese hätten sie gegen die Therme verwenden können.
Einer Staatsanwältin, die sich später als befangen herausstellen wird, reichen die Indizien, um eine Hausdurchsuchung bei den beiden von Große erkannten Personen zu veranlassen. Am 19. Februar 2019 sucht man bei den Beschuldigten nach Servertechnik, roter Farbe, Bierzeltgarnituren und Kleidung, die die Täter auf dem Video trugen. Doch sie finden nichts.
Am 1. März 2019 kommt die Kriminalpolizei auf die Idee, die entwendete Servertechnik in der Havel zu suchen. Von Polizeitauchern werden der Router, der PC und die Firewall aus dem Wasser des Schilfstreifens gezogen und der Projektleiterin der Therme übergeben.
Am 7. Mai 2019, zwei Tage nach dem Baumblütenfest und etwa drei Wochen vor der Kommunalwahl, veröffentlicht BILD und BZ das Video der Überwachungskamera. Der Kandidat der Stadtmitgestalter Meiko Rachimow wird von der Bürgermeisterin Manuela Saß und dem Beigeordneten Christian Große in einem Interview als Täter identifiziert. Auch der RBB greift die Story schnell auf. [2]
Nach bald 3 Jahren Ermittlungsdauer hat das Amtsgericht Potsdam im Januar 2022 eine Verfahrenseröffnung gegen Rachimow auf Basis der von der Staatsanwaltschaft Potsdam erhobenen Anklage abgelehnt. Nachweislich ist Rachimow keine der Personen auf dem Überwachungsvideo, die 2018 in die Therme eingebrochen sein sollen. [3]
Die Ermittlungen gegen den zweiten Tatverdächtigen wurden schon länger zuvor eingestellt, da er sich nachweislich zum Tatzeitpunkt im Ausland aufhielt. [4]
Rachimow hatte Christian Große und Manuela Saß bereits vor 3 Jahren wegen übler Nachrede, falscher Verdächtigung und anderer Delikte angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ließ die Ermittlungen bis zur Klärung des Einbruchs ruhen. [5] Nun ist sich die Staatsanwaltschaft bereits nach 3 Wochen Ermittlungsarbeit sicher, dass der Beigeordnete Christian Große und die Bürgermeisterin von Werder (Havel) sich bei den Beschuldigungen gegen Rachimow einfach nur geirrt haben. Deren Aussagen in den Boulevardmedien und dem Regionalfernsehen kurz vor der Kommunalwahl 2019, sind für die Staatsanwaltschaft offenbar kein Problem. [6]
Offene Fragen
- Wie kam es zur “Internetrecherche” der Polizeiwache in Werder? (S. 21)
- Wie kam der Beigeordnete Christian Große dazu, Elmar Schlenke als Verdächtigen auszuschließen und zu behaupten, es wäre stattdessen ein junger Architekt zu erkennen, den er angeblich aus seiner dienstlichen Tätigkeit kenne? (S. 70 / 71)
Der nun Beschuldigte kennt Christian Große nicht und befand sich zum Tatzeitpunkt in Österreich. - Warum behauptete Christian Große gegenüber der Polizei, dass er Rachimow “zu 100%” erkennen würde, obwohl er sich nun nachgewiesenermaßen irrte? (S. 70 / 71)
- Warum wurden zur Feststellung der Identitäten der Täter auf dem Überwachungsvideo nur Verwaltungsmitarbeiter befragt? (S. 421 – 428)
- Wer gab der Kriminalpolizei Monate nach der Tat den Hinweis, die entwendete Servertechnik in der Havel zu suchen? (S. 121)
- Warum fand die Spurensicherung die Festplatte mit dem Überwachungsvideo nicht im Serverraum der Therme, obwohl sie dort einige Tage später von der Projektleiterin gefunden worden sein soll, wie Manuela Saß und Christian Große in Zeugenvernehmungen behaupteten? (S. 51, 79, 297, 306, 362, 372)
- Warum fragten die Ermittlungsbeamten die Projektleiterin Therme nicht nach dem Auffinden der Festplatte, obwohl sie diese ja gefunden haben soll?
- Warum ließ sich die Polizei mit einer CD zufriedenstellen, die nur sehr kurze Videosequenzen enthielt? Wären nicht auch die Aufnahmen nach und vor den wenigen Sekunden interessant gewesen? (S. 23 – 26)
- Warum kann sich der Polizist der Wache Werder nicht mehr erinnern, dass er die CD beim Pressesprecher im Rathaus abholte und wie sie erstellt wurde? (S. 396)
- Wo ist die Festplatte jetzt überhaupt? Hätte sie nicht als Beweismittel gesichert werden müssen?
- Wer gab das Video, auf das nur Mitarbeiter der Verwaltung sowie die Polizei und Staatsanwaltschaft Zugriff hatten, so kurz vor der Wahl an die Boulevardmedien weiter?
Die Liste der Fragen lässt sich fortführen. Sie gibt immerhin schon einen guten Einblick in die Skurrilität des Falls.

Schlusswort
Die Bürgermeisterin hat alle Mittel in Bewegung gesetzt, um den Fall in die Länge zu ziehen. Mit von der Stadt bezahlten Anwälten wurde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vorgegangen, als diese bereits im Oktober 2021 das Verfahren gegen Rachimow einstellen wollte. [7] Nun endet das alles kurz vor der Landratswahl mit dem gleichen Ergebnis.
Wegen der gravierenden Ungereimtheiten bei den Ermittlungsergebnissen will Rachimow die Einstellung des Verfahrens gegen Manuela Saß und Christian Große nicht so ohne weiteres hinnehmen und denkt über eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft nach.
Die involvierten Ermittlungsbehörden sind augenscheinlich überfordert und haben kein großes Interesse daran, gegen Amtsinhaber zu ermitteln. Diesen Missstand sollte die Landesregierung dringend angehen, um einem Vertrauensverlust in unseren Rechtsstaat entgegenzutreten.
Bis heute haben sich der Beigeordnete und die Bürgermeisterin bei Meiko Rachimow und seiner Familie nicht entschuldigt.
Querverweise
- MAZ | Blütentherme-Einbruch: Auch Verfahren gegen Saß und Große eingestellt
- PNN | Werderaner Kommunalpolitiker unter Verdacht
- RBB24 | Amtsgericht eröffnet kein Verfahren gegen Politiker Rachimow
- RBB24 | Werders Vizebürgermeister wegen falscher Verdächtigung angezeigt
- PNN | Keine Ermittlungen gegen Werders Rathauschefin
- MAZ | Blütentherme-Einbruch: Auch Verfahren gegen Saß und Große eingestellt
- MAZ | Staatsanwaltschaft ficht Beschluss an: Kommt der Thermen-Einbruch vors Landgericht?
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